Mali: eine explosive Lage

Übersetzung aus „La Forge“, Zeitung der Kommunistischen Arbeiterpartei Frankreichs – PCOF, Juli 2020

Am 5. April 2020 forderten tausende Demonstranten den Abzug der fremden Truppen und den Rücktritt von Präsident Ibrahim Boubacar Keita (IBK). Seither macht jeden Freitag in der malischen Hauptstadt und anderen Städten die Bevölkerung unter diesen Parolen mobil. Der Hauptgrund besteht darin, dass die Malier es satt sind und wütend angesichts der Aufstockung der militärischen Strukturen zur Bekämpfung des Terrorismus, die sich als völlig ineffektiv erweisen, ein Minimum an Sicherheit zu schaffen. Diese Strukturen sind die MINUSMA 1) mit ihren 20.000 UNO-Blauhelmen, die französische Interventionsmacht Barkhane 2) , die soeben durch 500 Soldaten verstärkt worden ist; das sind die nationalen Streitkräfte von fünf Sahel-Ländern (Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad, Mauretanien), die auf die Initiative Frankreichs rekrutiert wurden, um den Kampf gegen den Terrorismus zu „afrikanisieren“. Dazu muss man noch die schlecht ausgerüstete, schlecht geführte malische Armee rechnen, welche die Niederlagen einheimst. Am 14. Juni wurde erneut 24 malische Soldaten in einem Hinterhalt getötet, wieder einmal. Und um all dem die Krone aufzusetzen, rekrutieren und bewaffnen wegen der Ineffizienz dieser Strukturen die Dörfer, Städte und Regionen Milizen, die „ihren“ Frieden herstellen. Ein Klima der gegenseitigen Abrechnung, oft engstirniger lokaler oder regionaler Ausprägung, verlangt zahlreiche Opfer, besonders unter der Zivilbevölkerung. Dazu kommt der Anstieg der Korruption, die mit dem Waffenhandel verbunden ist, und ein wachsendes Elend infolge der Anwesenheit all dieser, vor allem ausländischen, Soldaten, deren Sold weit über dem Durchschnitt der nationalen Löhne liegt. Das lässt die Inflation auf die Preise der Grundbedarfsmittel zunehmen. Dieser Überdruss zeigte sich unter anderem bei der Mobilisierung am Freitag, dem 19. Juni. Ein junger Demonstrant, der ein Schild mit der Parole „IBK, tritt zurück“ hochhielt, rief: „Wir sollen für unsere Brüder beten, aber die Toten werden mehr und nichts ändert sich“.

Diese Demonstration, die Tausende von Maliern auf die Beine brachte, fand auf Initiative der „Bewegung des 5. Juni – Zusammenschluss der patriotischen Kräfte“ (M5-RFP) statt. Das ist eine bunt gemischte Koalition von Parteien und Persönlichkeiten der Opposition (sogar ehemaliger Minister), Bewegungen der Zivilgesellschaft gegen Korruption und für die Respektierung der Menschenrechte, für die Erhaltung der Demokratie sowie der Koordination der Bewegungen und Sympathisanten-Vereine von Mahmoud Dicko, eine politisch-religiöse Organisation. Dieser Imam war bis 2019 Vorsitzender des malischen, muslimischen Obersten Rats. Bei den Präsidentschaftswahlen von 2013 hatte er dazu aufgerufen, „seinen Freund IBK“ zu wählen. Heute hat er sein Mäntelchen gedreht und ist von seinen Ämtern zurückgetreten. In einem Land mit 95% islamischer Bevölkerung ist sein Einfluss groß. Ein Wissenschaftler vom Institut für Sicherheitsstudien sagt über ihn: „Viele Oppositionelle, die keine Chance hätten, an die Macht zu kommen, haben sich entschlossen, sich auf den Imam zu stützen und diese Tausende Getreuer verleihen ihm große Macht“. Diese vielgesichtige Koalition hat ein Minimalprogramm. Der Rücktritt IBKs ist die populärste dieser Forderungen. Er soll von einem Premierminister ersetzt werden, der aus den Abgeordneten eines neuen Parlaments hervorgeht. Die Bewegung fordert auch die vollständige Neuwahl der Mitglieder des Verfassungsgerichts, das beschuldigt wird, die Ergebnisse der letzten Parlamentswahlen gefälscht zu haben, die zu Beginn der Gesundheitskrise stattfanden. Wenigstens 4 der 9 Mitglieder des Gerichts sind schon zurückgetreten.

Solche Massendemonstrationen beunruhigen die Partner Malis, voran den französischen Staat und seine Gefolgschaft, die afrikanischen Staatschefs. Eine ununterbrochene Reihe von französischen Sondergesandten, Abgeordneten der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (CEEAO), Vertretern der Afrikanischen Union und selbst der UNO drängen sich um den Vorsitzenden oder um einflussreiche Personen, insbesondere den Imam Dicko. Die Drängelei hat schon ein Ergebnis gebracht: Imam Dicko hat verkündet, dass der Rücktritt IBKs nicht mehr erste Priorität habe und dass es nur nötig wäre, ihn jeder realen Macht zu entkleiden. Es wird mehr nötig sein als dieser Taschenspielertrick, um die Wut des Volkes zu dämpfen, insbesondere der Jugend, die sich in den sozialen Netzen äußert und nach wie vor „IBK, tritt ab!“ skandiert, was auch beinhaltet, dass die französische Armee abzieht.

(Übersetzung aus „La Forge“, Zeitung der PCOF, Juli 2020)

Anmerkungen:

1) MINUSMA: Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (französisch: Mission multidimensionnelle intégrée des Nations Unies pour la stabilisation au Mali) – UNO „Stabilisierungsmission“. Zwischen 2013 und 2017 starben in Mali 116 Blauhelmsoldaten, so dass die Mission als die verlustreichste der Vereinten Nationen seit dem Koreakrieg gilt.

2) Die Operation „Barkhane“ ist eine von der französischen Armee in der Sahel-Zone und der Sahara durchgeführte Operation, die darauf abzielt, die bewaffneten salafistischen Gruppen in der gesamten Region des Sahel zu bekämpfen. Am 1. August 2014 begonnen, bildet sie die Fortsetzung der Operationen „Serval“ und „Epervier“. Es sind mehrere tausend Soldaten gegen einige hundert Dschihadisten im Einsatz.

Anmerkung der AZ-Redaktion: An der Mission MINUSMA ist „auf Bitten Frankreichs“ auch die Bundeswehr mit 650 Soldaten beteiligt. Am 27. Juni 2013 beschloss der Bundestag mit 502 Ja-Stimmen, 69 Nein-Stimmen und 7 Enthaltungen eine deutsche Beteiligung an der MINUSMA bis maximal 150 Soldaten. Am 28. Januar 2016 stimmte der Deutsche Bundestag der Erweiterung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte auf 650 Soldaten zu. Ein erweiterter Einsatz bis zu 1.100 deutschen Soldatinnen und Soldaten ist möglich. (www.bundeswehr.de/de/einsaetze-bundeswehr/minusma-bundeswehr-un-einsatz-mali)