Vom Rechtsruck und der „demokratischen Mitte“

Seit Ende Mai verursachen die Umfrageergebnisse zum Wahlverhalten der Deutschen wieder Schlagzeilen. Dabei geht es um die Zustimmungswerte für die AfD, die in den letzten Monaten schnell anstiegen. Hatte sich die Partei seit Oktober 2022 stabil bei etwa 15 Prozent Zustimmung gehalten, so kletterten die Werte in kurzer Zeit auf 21 Prozent. Ein neuer Rekordwert für die AfD.
Als kurz nach Erreichen des Umfragehochs auch noch der erste Landrat im thüringischen Landkreis Sonneberg aus den Reihen der AfD gewählt wurde und eine Woche später der erste AfD-Bürgermeister in Sachsen-Anhalt folgte, konnte kein Zweifel mehr darüber bestehen, dass wir uns inmitten eines erneuten Rechtsrucks in Deutschland befinden.
Doch was ist die Ursache für das erneute Erstarken der Rechtspopulisten? Unsere Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat zu dieser Frage eine überraschend treffende Analyse parat. So schrieb sie dazu auf Twitter: „Die AfD wird immer dann stark, wenn in der Mitte der Gesellschaft rechte Themen hochgepeitscht und Begriffe und Positionen übernommen werden. Die Lehre für alle Demokraten muss sein, um die besten Lösungen zu ringen, ohne in die hasserfüllte Sprache der Populisten zu verfallen.“ Denn tatsächlich fiel die AfD in den vergangenen Monaten wenig durch ihre eigene Aktivität auf, setze keine nennenswerten Akzente in öffentlichen Debatten und rückte auch nicht durch besondere Ereignisse in den politischen Mittelpunkt. Doch „rechte Themen“ wie etwa „illegale Migration“ oder „Clankriminalität“ waren auch ohne große Bemühungen der AfD, CDU oder FDP immer wieder große Schlagzeilen und Gesprächsthemen in den letzten zwei bis drei Monaten. Etwa im Rahmen der geplanten GEAS-Reform oder der geplanten Abschiebe-Reform im Kampf gegen Clankriminalität rückten Themen, bei denen ganz besonders gegen Geflüchtete und Migranten als vermeintliche Kriminelle, soziale Störenfriede und Sozialschmarotzer gehetzt wird, in den Mittelpunkt und trugen maßgeblich zum derzeitigen Politikerfolg der AfD bei. Doch wer trug dazu bei, dass – um es mit den Worten der Innenministerin zu sagen – „in der Mitte der Gesellschaft rechte Themen hochgepeitscht“ wurden? Federführend bei der GEAS- und auch bei der Abschiebe-Reform ist das Bundesministerium für Inneres und Heimat, wo Sozialdemokratin Nancy Faeser die verantwortliche Ministerin ist. Die gleiche Frau Faeser also, die den Rechtsextremismus als größte Gefahr für Deutschland einstuft und die von einer „Lehre für alle Demokraten“ faselt, bemüht sich nach Leibeskräften rechtspopulistische Diskurse und Narrative aufzugreifen und sogar rechtspopulistische Politik zu machen, wenn sie zum Beispiel das Asylrecht an der EU-Außengrenze großflächig untergräbt oder über Sippenhaft für Menschen ohne deutschen Pass schwadroniert. Wer heute eine Politik der Spaltung und Hetze sucht, der muss dafür nicht mehr bis nach Rechtsaußen schauen. Längst befindet sich die Sozialdemokratie auf Anbiederungskurs.
Doch begeht man einen Fehler, wenn man meint, dass es sich dabei um einen Ausrutscher handelt. Die SPD fischt nicht zufällig in rechten Gewässern nach Wählerstimmen. Denn dass es sich bei potentiellen AfD-Wählern nicht ausschließlich um Rechtsextreme und Faschisten handelt, belegt die Wählerwanderung in den vergangenen Jahren. So verloren SPD und Linke bei der Bundestagswahl gemeinsam beinahe 900.000 Wählerstimmen an die AfD und natürlich sind diese Menschen – wie auch viele andere AfD-Wähler – nicht über Nacht zu Faschisten mutiert und wählen die AfD aufgrund grundsätzlicher rechtsradikaler Überzeugungen. Viele wählen die AfD aus Protest. Und auch die SPD weiß das und versucht sich daher gezielt daran, die verlorengegangen Stimmen durch (rechts)populistische Politik zurück zu ergattern. Doch dabei handelt es sich um ein schwieriges Unterfangen. Denn es waren insbesondere die völlig ununterscheidbaren Regierungen bestehend aus CDU, SPD, Grüne und FDP, die immer mehr Menschen in Deutschland die Erkenntnis brachte, dass sich durch die Abgabe ihrer Wahlstimme alle vier Jahre nichts an ihrer Situation verändern. Ob es nun Schröder und die Grünen, Merkel und die SPD, Merkel und die FDP oder Scholz zusammen mit FDP und Grünen waren, die die Regierung bildeten: Für die arbeitende Bevölkerung war keinerlei Unterschied spürbar, ihre Situation verschlechterte sich Stück für Stück, vollkommen unabhängig vom Ausgang der Wahl.
Seitdem die Linkspartei zunehmend den Zugang zur arbeitenden Bevölkerung verloren hat und immer weiter in die politische Bedeutungslosigkeit abdriftet, stellt die AfD den vermeintlich einzigen Gegenpol zur Politik der etablierten Parteien dar. Dabei bemüht sich die AfD stark, sich diesen Titel zu erhalten. Ihre politischen Positionierungen zeichnen sich nämlich oft in allererster Linie dadurch aus, dass sie GEGEN die Position der Regierung bzw. GEGEN die Position der parlamentarischen Mehrheit sind. So war es zum Beispiel in erster Linie die AfD, die angesichts des extremen Anstiegs der Verbraucherpreise im letzten Jahr, die Situation der arbeitenden Bevölkerung thematisierte, während die Ampel-Koalition hauptsächlich damit beschäftigt war, die Gewinne des Kapitals mithilfe von „Sprit-“ und „Gaspreisbremse“ zu sichern. Und das bedeutet eben auch, dass, wenn alle übrigen Parteien in das Kriegsgetrommel des US-Imperialismus mit einstimmen und die Lieferung immer schwererer Waffen befürworten, während der diplomatische Weg kategorisch abgelehnt wird, die AfD DAGEGEN Stellung bezieht und sich für diplomatische Annäherungen zu Russland ausspricht und ein Ende der Waffenlieferungen fordert. Grund dafür ist im Fall der AfD selbstverständlich weder Klassenstandpunkt noch Internationalismus. Vielmehr vertritt die AfD eine Kapitalfraktion die vermehrt auf die Geschäfte mit Russland angewiesen sind und nutzt gleichzeitig die Möglichkeit Positionen zu besetzen, die eine starke Basis in der arbeitenden Bevölkerung haben, allerdings sonst durch keine andere politische Partei (oft außer der Linkspartei) aufgegriffen werden. So sind zum Beispiel aktuell knapp 40 Prozent der deutschen Bevölkerung der Meinung, dass die Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine zu weit gehen und 55 Prozent wünschen sich stärkere diplomatische Bemühungen. Wen diese Leute, die sich nichts als ehrlichen Frieden wünschen und die sich in München vom sozialdemokratischen Bundeskanzler Olaf Scholz als „gefallene Engel aus der Hölle“ beleidigen lassen müssen, bei der nächsten Bundestagswahl wählen, bleibt abzuwarten.
Klar ist allerdings: an den neuesten Rekordumfragewerten der AfD arbeiten die übrigen Parteien kräftig mit. Ob durch das Etablieren rechter Themen in Politik und Medien oder durch das blanke Unvermögen, die Interessen der Arbeiterklasse aufzugreifen und Politik im Sinne der arbeitenden Bevölkerung zu machen. Der Kampf gegen den Rechtsruck kann also nicht mit, sondern nur gegen die Regierung geführt werden! Wir kämpfen gegen die AfD, ihre perfide Hetze und Spaltung der Arbeitenden, ihre Angriffe auf demokratische Rechte und Freiheiten und ihre arbeiterfeindliche Politik, jedoch niemals für die regierenden Parteien als angeblich fortschrittliche Alternative. Solange keine Partei der Arbeiterklasse in Deutschland geschaffen wird, die in der Lage ist, die Arbeiter entlang des Klassengegensatzes zu vereinen und ehrliche Politik im Interesse der Werktätigen zu machen, werden Spaltung und Hetze weiter grassieren und es wird immer wieder zum Erstarken rechter Kräfte kommen.