Buchbesprechung: Das Ende des Kapitalismus

Ein interessantes, aber oftmals widersprüchliches, dann wieder spannendes und ebenso illusionäres Buch legt Ulrike Herrmann mit ihrem Spiegelbestseller Platz 1 „Das Ende des Kapitalismus“ vor.

Das Buch beschäftigt sich damit, dass unbegrenztes Wachstum und Klimaschutz nicht miteinander vereinbar sind.

Widersprüchlich beginnt es schon in der Einleitung. Herrmann zitiert die Primatenforscherin Jane Goddall: „Wie kann es sein, dass das klügste Wesen, das die Erde jemals betreten hat, sein eigenes Zuhause zerstört?“ (S.9) Sie führt eine Parole der fridays-for-future-Bewegung an: „Wenn die Erde eine Bank wäre, hättet ihr sie längst gerettet!“ (S. 10) Und sie sagt: „Klimaschutz ist nur möglich, wenn wir den Kapitalismus abschaffen.“ (S.11)

Ganz im Kontrast dazu steht ihre Aussage: „Leider ist es nicht so einfach. Der Klimaschutz scheitert nicht, weil die Politik korrupt wäre oder nicht genug Geld bewilligen möchte. Der Wille ist vorhanden, den Planeten zu retten.“ (S.10)

Da reibt man sich verwundert die Augen, wenn man die langjährige Umweltpolitik anschaut. Lobbyismus ist fester Bestandteil in diesem kapitalistischen System. Die großen Konzerne nehmen vielfältig Einfluss auf die Politik und bestimmen im Wesentlichen den Kurs. Korruption? Man denke nur an Olaf Scholz und seine enormen Gedächtnislücken bei seiner Hilfe für Cum-Ex-Verbrecher oder die Straffreiheit für zahllose Bundestagsabgeordnete bei ihren Maskendeals. Guten Willen zu bestätigen, nur weil Politiker aller Parteien ständig das Wort „Klimaschutz“ in den Mund nehmen und es zur Propagandablase verkommen lassen, ist wohl sehr leichtgläubig.

Ebenfalls zu Beginn deutet Herrmann eine „Lösung“ an: die britische Kriegswirtschaft ab 1939 (S.13). „Die Briten erfanden also eine private und demokratische Planwirtschaft, die mit dem dysfunktionalen System in der Sowjetunion nichts zu tun hat.“ Ein flotte Abgrenzung zur sozialistischen Planwirtschaft, für die sie aber keine Argumente anführt, sondern einfach eine Behauptung aufstellt.

Etwas langatmig beschreibt sie den Aufstieg des Kapitals (Kapitel 1). Dann erklärt sie, dass es »grünes Wachstum« nicht gibt (Kapitel 2). Im dritten Kapitel erklärt sie das Ende des Kapitalismus.

Erfreulich ist, dass sie durchaus dialektisch denken und mit Widersprüchen umgehen kann. Das ist heute selten in der bürgerlichen Presse und der bürgerlichen Wissenschaft.

So stellt sie richtig dar, dass es zu Anfang des Kapitalismus keine individuelle Freiheit geben konnte, wie der Kapitalismus sie heute vielen Menschen bietet und für sein System nutzt. Sie sieht den Zusammenhang zur Entwicklung der Produktivkräfte.

Allerdings verfällt sie dabei immer wieder in idealistische Erklärungen für die richtig beschriebenen Erscheinungen. So schreibt sie: „Wenn die Wirtschaft jedoch wächst, ist dieser brachiale Kampf nicht mehr zwingend notwendig. Die Zugewinne sind groß genug, um alle zu beteiligen… Für die Eliten ist es nicht mehr nötig, das Volk gewaltsam zu unterjochen.“ (S.25) Das ist Schönfärberei! Selbstverständlich verändern sich mit der Entwicklung der Produktivkräfte die Formen der Herrschaft, nicht aber deren Inhalt – nämlich Herrschaft! Natürlich muss der entwickelte Kapitalismus, der gebildete Fachkräfte benötigt, anders herrschen, aber er muss herrschen! Der entwickelte Kapitalismus schafft beispielsweise viele Möglichkeiten des Individualismus, die aber vor allem dazu dienen, von der Herrschaft abzulenken, sie zu kaschieren. Unterhaltung, Berieselung in den Medien, Förderung von Egoismus, Konsum und vieles mehr. Aber all das ist keine Beendigung von Herrschaft, sondern eben unter den neuen Bedingungen sogar notwendige Voraussetzung, um die Herrschaft des Kapitals aufrecht zu erhalten. Und wo immer es notwendig ist, um die Herrschaft aufrecht zu erhalten, wird auch Gewalt angewendet. Man denke nur an den brutalen Umgang mit den Klimaaktivisten, die sich auf die Straße kleben und dafür als „Terroristen“ oder „neue RAF“ gebrandmarkt werden.

Es ist mühsam, aber immer wieder sagt sie Richtiges: „Deutschland ist eine Klassengesellschaft.“ (S.26) Und sie belegt diese Aussagen mit bereits bekannten Zahlen über Vermögens- und Einkommensverteilung, ohne allerdings die besondere Stellung der Klassen zu den Produktionsmitteln und ihre Stellung in der Produktion zu berücksichtigen. Sie sieht es lediglich als die Teilung in arm und reich.

Richtig beschreibt sie, dass ökonomische Gesetzmäßigkeiten unabhängig vom Willen der Menschen wirken. So beschreibt sie, dass Spanien und Portugal in ihren Kolonien ungeheure Reichtümer plünderten. Das führte zwar dazu, dass diese Staaten eine Zeit lang die mächtigsten in Europa waren. Es führte aber nicht zu einer dauerhaften Entwicklung. Sondern der Reichtum wurde von der herrschenden Klasse konsumiert und keine Produktion damit aufgebaut, die zum Kapitalismus führte. Auf Dauer unterlagen sie damit und fielen weit hinter anderen ärmeren Staaten zurück. Dagegen stellt sie richtigerweise Britannien, wo die Löhne höher als im übrigen Europa waren, das sich aber rasch industrialisierte und entwickelte. Nur ihre Erklärung ist etwas kurios und verkürzt.

Sie konstatiert zu Recht noch, dass Britannien durch große Kohlevorkommen billigere Energie als der Rest Europas hatte. Dann aber erklärt sie zwar dialektisch, aber idealistisch, dass die hohen Löhne in Britannien zur raschen industriellen Entwicklung geführt hätte. Der höhere Konsum hätte die Entwicklung voran getrieben und die hohen Löhne zur Einführung von Technik gezwungen (ab S.28). Das ist vielleicht ein kleiner Aspekt, aber sicher nicht „die Ursache“. Denn dann hätte der sehr hohe Konsum der Feudalen in Spanien, Portugal usw. auch dort die Entwicklung vorantreiben müssen. Doch es lief umgekehrt, denn die Waren für den Konsum wurden von anderen produziert und geliefert. Der Reichtum ging also über die Prasserei des Feudaladels in die Hände des Kapitals. Sie vergisst, dass in Spanien, Portugal, Frankreich, Deutschland Feudalismus herrschte. Der Feudalismus basiert genauso wie der Kapitalismus auf Ausbeutung, aber eben nicht auf der Verwertung des Werts. Das aus den Ausgebeuteten rausgepresste Mehrprodukt wird vom Adel konsumiert, nicht investiert. In Britannien hingegen gab es einen jahrhundertelangen Kampf des neu aufstrebenden Kapitals gegen den Feudalismus, der schließlich im 17. Jahrhundert mit dem Sieg der „glorious revolution“ dazu führte, dass das Kapital die Macht übernahm und der Feudalismus daran beteiligt wurde. Damit waren die feudalen Fesseln gesprengt und auch Teile der alten Feudalherrscher profitierten von der Entwicklung des Kapitalismus. Nachlesen kann man das bei Marx und Engels. Die verkürzte Sichtweise macht es ihr unmöglich, richtig dargestellte Erscheinungen in einen allseitigen Zusammenhang zu stellen und damit zu erklären.

Sehr gut betrachtet sie einige Paradoxien des Kapitalismus. So erklärt sie, dass die immer effektivere Nutzung von Energie nicht etwa zu weniger Energieverbrauch führt, sondern zu mehr. Je besser die Maschinen werden, umso mehr werden sie eingesetzt und umso mehr Energie wird verbraucht 8S.45). So erklärt sie das „fossile Zeitalter“.

Richtig hebt sie hervor, dass die Entwicklung des Kapitalismus durch Protektionismus möglich wurde (S.53). „Es ist also etwas unehrlich, wenn sich die USA heute als die obersten Advokaten des Freihandels aufspielen.“ Das sind sie allerdings auch heute nur in Worten. Tatsächlich stützen sie ihre Industrie mit staatlichen Programmen, protektionistischen Gesetzen und staatlicher Intervention. „Freihandel“ ist immer eine Propagandaparole der stärksten Mächte, um die schwächeren Mächte zu beherrschen.

Richtig beschreibt sie, wie rasch sich Kartelle und Monopole im Kapitalismus herausbildeten. Sie sagt, es sei „ein Paradox, das den Kapitalismus bis heute prägt: Nur wenn das Risiko weitgehend ausgeschlossen ist, werden Investitionen gewagt.“ (S.57) Diese Aussage enthält viel Wahres, ist allerdings auch etwas gewagt. Denn natürlich wird auch in Risikobereichen investiert. Sie vergisst den Druck der Konkurrenz. Ihre einseitige Betrachtungsweise entwertet immer wieder richtige Feststellungen, da sie unzulässig verallgemeinert und damit einseitig werden.

Richtig konstatiert sie, dass Monopole zu Fäulnis und Stagnation führen. Sie nennt Firmen wie Siemens, Bayer als Beispiele: „Viele Unternehmen hatten nämlich festgestellt, dass sich systematische Wissenschaft gar nicht rentierte.“ (S.59)

Sie kritisiert die Anhäufung gigantischer Schulden: „Der Kapitalismus ist nur stabil, solange er wächst.“ (S.87) Jede Reduzierung des Wachstums oder gar ein Rückgang führten unweigerlich zu Krisen oder gar zum Zusammenbrauch. Ab S.203 geht sie ausführlich darauf ein. Das ist allerdings nicht neu, sondern von Karl Marx wissenschaftlich erforscht und nachgewiesen.

Richtig stellt sie fest, dass da auch der Markt nicht hilft. CO2-Zertifikate würden nicht zur Reduktion der CO2-Emmissionen führen, sondern nur zur Vermarktung von „Verschmutzungsrechten“ durch Verrechnungstricks. Manchmal verliert sie sich bei der Darstellung der vielen Tricks und Täuschungsmanöver des Kapitals beim Umweltschutz im Detail, aber sie präsentiert eine Menge an Fehlentwicklungen, Umweltbetrügereien und Täuschungen. Sie legt ausführlich dar, dass es mit dem Kapitalismus keinen Klimaschutz geben kann.

Ab Kapitel 18 erklärt sie ihre Lösungsvorschläge unter der Überschrift „Ein Vorbild: die britische Kriegswirtschaft ab 1939“. Sie legt dar, dass der britische Staat innerhalb kürzester Zeit den Konsum drosselte und planmäßig in die kapitalistische Wirtschaft eingriff, um diese auf eine Rüstungswirtschaft umzustellen. „Der Staat kann handeln, wenn er will.“ Das sei auch bei Corona so gewesen. Der Staat habe reguliert. Allerdings sei „die britische Kriegswirtschaft … besser geeignet, um ein Modell für die Zukunft abzugeben.“ (S.232)

Sie nennt das „eine Art »privater Planwirtschaft«“.

Die britische Planwirtschaft unterschied sich also fundamental vom Sozialismus, der zeitgleich unter Stalin in der Sowjetunion praktiziert wurde. In dieser »zentralen Planwirtschaft sowjetischen Typs« waren alle Betriebe staatlich, und es wurde bis zur letzten Schraube reglementiert, wie die Fabriken ihre Waren herzustellen hatten.“ (S.237)

So simpel kann man den Sozialismus also „erledigen“! „Bis zur letzten Schraube reglementiert“? Quatsch! Das ist doch keine ernsthafte Beschäftigung mit dem Sozialismus. Übrigens hatte die Sowjetunion deutlich größere Erfolge bei der Umstellung ihrer Wirtschaft auf die Notwendigkeiten des Krieges als die britische Regierung und Ökonomie! Nicht umsonst trug die Sowjetunion die Hauptlast im Krieg gegen den Hitler-Faschismus und zur Erringung des Sieges!

Sie lobt, dass es den unteren Schichten bei der britischen Kriegswirtschaft bei der Ernährung besser ging als in Friedenszeiten. Ja, man brauchte die Arbeiterklasse für die Produktion und den Krieg!

Doch nach langem hin und her klagt sie: „Das Ziel ist klar, nur der Weg fehlt. Bisher gibt es keinen Plan, wie sich der dynamisch wachsende Kapitalismus beenden ließe, ohne dass eine schwere Wirtschaftskrise droht.“ (S.241f) Denn auch die britische Kriegswirtschaft basierte auf Wachstum – nur eben im Rüstungsbereich. Das Kapital musste sich auch hier reproduzieren und vermehren – auf Kosten des Massenkonsums, der bis auf die Ernährung drastisch reduziert wurde. Die Arbeiterklasse musste den Krieg bezahlen, während das Kapital davon profitierte.

Zum Schluss präsentiert sie unter der Überschrift „Die »Überlebenswirtschaft« hat schon längst begonnen“ einen bunten Mix an Überlegungen, ohne aber wirklich eine Lösung zu bieten. Sie geht davon aus, dass vor allem rationiert und zugeteilt werden muss. (S.260f)

Und obwohl sie selbst gezeigt hat, dass die britische Kriegswirtschaft nur auf der Basis der Kapitalverwertung, also des Wachstums in der Rüstungsindustrie existieren konnte, endet sie:

Die »Überlebenswirtschaft« zeigt, wie der Übergang gelingen könnte, ohne das Chaos ausbricht. Die Betriebe bleiben privat, aber der Staat legt fest, was noch hergestellt wird und verteilt die knappen Güter.“ Das soll in ihren Augen das Ende des Kapitalismus sein! Hand und Fuß hat das nicht. Denn es ist real der Erhalt des Kapitalismus. Da der Kapitalismus aber nur überleben kann, wenn sich das Kapital verwerten und vermehren kann, geht dieses Konzept nicht auf. Die Angst vor einer grundlegenden Veränderung, vor der wirklichen Abschaffung des Kapitalismus, vor einer Revolution hat hier offensichtlich dazu geführt, dass man sich Denkverbote auferlegte und Eigenzensur durchführte. Vom „Ende des Kapitalismus“ fehlt bei diesem Konzept jede Spur.

Selbstverständlich müssen bei einem neuen Anlauf zum Sozialismus die positiven und negativen Erfahrungen beim ersten Anlauf zum Sozialismus analysiert und daraus Konsequenzen gezogen werden. Eine einfache Wiederholung wird es nicht geben. Aber die Erfahrungen beim ersten Anlauf sind ermutigend und bieten viel Material für die Zukunft ohne Kapitalismus. Wir geben Ulrike Herrmann recht: Der Kapitalismus muss verschwinden. Sein Ende ist notwendig. Aber statt einer „britischen Kriegswirtschaft“ brauchen wir wirklichen Sozialismus, die Machtübernahme durch die Arbeiterklasse und das Volk und die völlige Entmachtung des Kapitals. Nur dann hat die Menschheit eine Chance, den Klimawandel zu stoppen und ein gutes Leben für alle zu ermöglichen.

Ulrike Herrmann, „Das Ende des Kapitalismus – Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden“, Kiepenheuer & Witsch, 2022, 2. Auflage, ISBN 978-3-462-00255-3, 352 Seiten, 24 €