Buchbesprechung: Albert T. Lieberg, Der Systemwechsel

Der Titel ist vielversprechend. Zudem lobt Jean Ziegler auf der Titelseite, das Buch zeige „den Weg zur dringend notwendigen Entmonetarisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse“.

Der Autor legt auch gleich kräftig los. Die Einleitung überschreibt er: „Der Systemwechsel: Keine Utopie, sondern existentielle Notwendigkeit“ (S.9). Er kritisiert zu recht, dass „die heute global herrschenden Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme und die daraus resultierenden Verhaltensformen des Menschen dazu geführt haben, dass der Planet Erde… sich in einem kritischen Zustand befinde(t).“ Er argumentiert richtig, dass es eine „zum Teil schon irreversible Zerstörung der Umwelt und der lebensnotwendigen Ressourcen“ gibt.

Und damit stellt sich auch die Frage, was zu tun ist, wenn die Lage so dramatisch ist? Schon hier beginnt der Autor mit seinem angeblich ganz neuen Konzept: Er meint, es müsse „ein entschiedenes gesamtgesellschaftliches Umdenken“ (S.9) erfolgen. Er empört sich stark moralisch über das gegenwärtige System. Zu Recht kann und muss man sich über dieses System moralisch empören. Doch das reicht nicht. Man muss es auch korrekt analysieren. Da haben wir bei Lieberg allerdings erhebliche Zweifel.

Als einzigen Grund für die Dominanz der westlichen Staaten auf den Weltmärkten benennt er, dass diese „wichtige Wirtschaftszweige direkt oder indirekt subventionieren.“ Wo bliebe denn da der Profit, wenn es das wesentliche Mittel zur Ausplünderung der restlichen Welt wäre, diesen die Produkte der Industriestaaten verbilligt, also unter ihrem Marktwert zu verkaufen?

In seiner Pauschalität ist dies falsch. Es gibt die Erscheinung, dass Produkte subventioniert verkauft werden, aber nur um Märkte zu erobern. Sind diese erobert, steigt in der Regel der Preis. Tatsächlich gibt es auf dem Agrarsektor teilweise extreme Subventionen; allerdings nur für eine bestimmte Zeit. Ist die landwirtschaftliche Produktion in den betreffenden Staaten ruiniert oder/und die Konkurrenz geschlagen, steigen die Preise. Kein Kapitalist und auch kein kapitalistisches Land kann es sich auf Dauer leisten, Waren unter ihrem Wert zu verkaufen. Der Kapitalist und das Land würden sich damit ruinieren. Im Gegenteil! Industriewaren werden oft teuer in abhängige Staaten verkauft, weil diese eben abhängig sind und keine Wahl haben. Für Extraprofit ist das Kapital immer empfänglich.

Zusätzlich subventioniert billige, meist ungeschützte Arbeitskraft in Drittländern…“ sollen helfen, „damit die Verbraucher zu Hause (in den reicheren Ländern) billige Produkte kaufen können.“ (S.10) Wer „subventioniert“ denn in abhängigen Ländern die billige Arbeitskraft? Da dies arme Länder sind, haben diese selbst einen Staatshaushalt, der noch nicht einmal die minimale soziale Grundversorgung leisten kann. Die Preise der Ware Arbeitskraft sind dort so gering, weil das Lebensniveau der Arbeiterklasse dort so niedrig ist und die Armut, das Elend sie zwingt, jede Arbeit zu niedrigstem Preis anzunehmen. Es ist auch ein Märchen, dass diese Produkte in den reicheren Ländern billig verkauft werden. Ein Adidas-T-Shirt, dass in Bangladesch unter unwürdigsten Bedingungen und bei niedrigsten Löhnen hergestellt wurde, ist nicht billig. Im Gegenteil! Der billige Einkauf der Ware Arbeitskraft in Bangladesch erhöht den Extraprofit von Adidas und anderen vergleichbaren Konzernen.

Auf S.12 erklärt der „Revolutionär“, dass das Volk schuld an dem ist, was die Regierung macht. „Sogenannte demokratische Regierungen müssen gewählt werden, können ohne Wählerstimmen nicht existieren…. Um gewählt und wiedergewählt zu werden, sehen sich die Regierungen gezwungen, die Steuern zu kürzen, ehemals öffentliche Dienstleistungen bis hin zu Sozialleistungssystemen zu privatisieren und notwendigerweise die Staatsverschuldung in die Höhe zu treiben.“ (S.12)

Die Regierungen sind also das arme Opfer der selbstsüchtigen Wähler? Sie werden vom Wähler „gezwungen“. Natürlich tragen Wähler Verantwortung dafür, wem sie ihre Stimme geben. Aber sie zu den Hauptverantwortlichen für den Zustand dieser Gesellschaft zu geben, ist bestenfalls einseitig oder zeugt von der völligen Unkenntnis der Machtverhältnisse.

Eine große Mehrheit der Menschen ist dafür, dass die Reichen stärker besteuert werden. Die Regierungen – egal in welchen Koalitionen – machen das Gegenteil, während gleichzeitig die arbeitenden Menschen mit immer neuen Abgaben und Steuern belastet werden. Die Mehrheit der Menschen ist gegen Privatisierungen z.B. im Gesundheitswesen. Die Regierungen machen das Gegenteil. Eine überwältigende Mehrheit ist gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr, gegen atomare Aufrüstung der Bundeswehr, gegen steigende Rüstungsausgaben. Die Regierungen machen das Gegenteil.

Statt so großzügig den Wählern die Schuld zuzuschieben, wäre hier eine allseitige Analyse der Machtverhältnisse notwendig. Und da müsste man zumindest einmal über die Macht des Kapitals und seinen Einfluss auf die Regierungen nachdenken. Lieberg scheint daran kein Interesse zu haben. Er steuert auf seine „Lösung“ aller Probleme zu und ignoriert daher Fakten, die dem entgegenstehen. Dazwischen bringt er dann ein paar wohlfeile Sprüche über „dramatische soziale Mißstände“ (S.13) ohne die realen Hintergründe zu untersuchen.

Schon früh, präsentiert er dann sein Rezept für alle Gebrechen der kapitalistischen Gesellschaft. Es wird sich „so lange nichts ändern, bis nicht ein globales Umdenken zu einem völlig erneuerten Weltbild führt.“ (S.13)

Das Allheilmittel soll ein erneuertes Weltbild sein? Keine Veränderung der Machtverhältnisse? Keine Entmachtung des Kapitals, das die Menschheit in den Ruin treibt?

Bei Lieberg ist alles einfach, auch wenn er immer wieder beteuert, wie mühevoll und langwierig das sei.

Er will weitermachen und den Kapitalismus reformieren. Er fordert „ein humaneres Wirtschafts- und Sozialsystem“ (S.100), ohne den Kapitalismus zuvor zu beseitigen. Nun hat aber gerade der Kapitalismus all das hervorgebracht, was Lieberg moralisch verurteilt, ohne auf die Ursachen eingeht. So verlangt er ein „Verbot jeglicher Geldspekulation und jeglichen Handels mit Schuldtiteln“. Dann „wäre die Börse nur noch ein Ort, an dem tatsächlich Unternehmensanteile gehandelt werden…“ (S.101)

Hier zeigt sich auch die Unsinnigkeit der Schuldzuweisung an die Wähler. Niemals haben die der Spekulation an der Börse zugestimmt. Das fand aufgrund der Entwicklung des Kapitalismus statt, ohne dass die Menschen jemals gefragt wurden oder irgendetwas zu entscheiden hatten. Selbst Regierungen großer kapitalistische Länder müssen zuweilen hilflos zuschauen, wie internationale Finanzkonzerne gegen ihre Währung spekulieren. Am Ende ist die betreffende Regierung gezwungen, die Forderungen der „Investoren“ zu erfüllen, um größeren Schaden abzuwenden. Oder die Regierung macht freiwillig mit, weil sie von den Finanzkonzernen „Spenden“ erhält und/oder von diesen abhängig ist.

Ja und fordern kann man viel. Doch leider ist das Leben kein Wunschkonzert. Wenn man etwas will, dann muss man dafür kämpfen. Dann muss man sich auch die Frage stellen, wer für was zu kämpfen bereit ist. All die Machtfragen meidet Lieberg. Dafür ist sein Wunschzettel sehr lang. Großzügig fordert er ein „Gesellschaftsorientiertes Geldwesen und Finanzierung“ (S.101), „Partizipatorische Unternehmensführung“ (S.102), „Ökologische Kreislaufwirtschaft“ (S.104), „Gesellschaftsorientiertes Steuer- und Sozialsystem“ (S.106) usw.

Mancher seiner Forderungen können wir zustimmen. Aber dazu muss man sich ernsthaft mit den Ursachen beschäftigen, die Machtverhältnisse analysieren und Wege zur Realisierung aufzeigen. Moralisch fordern kann man viel. Das ändert nichts.

Gefährlich werden seine Wünsche, wenn er eine „Supra-nationale Militärkompetenz“ (S.110) für die Vereinten Nationen fordert. Denn auch hier umschifft er die Machtfrage! Wer kontrolliert denn die UN? Die großen imperialistischen Staaten! Wer finanziert die UN? Die großen imperialistischen Staaten! In einer Situation, wo die UN ein Instrument der großen imperialistischen Staaten sind, wäre eine „Supra-nationale Militärkompetenz“ höchst gefährlich. Glücklicherweise ist es aber auch unmöglich, weil eine supra-nationale Militärmacht unter den Bedingungen des Kapitalismus aufgrund der Konkurrenz und des Machtkampfes der Beteiligten nicht möglich ist. So sieht die reale Macht aus. Dadurch dass Lieberg diese Fragen scheut, wie der Teufel das Weihwasser, kann er fordern, fordern und nochmal fordern. Aber das sind schillernde Seifenblasen!

Albert T. Lieberg, Der Systemwechsel, Buechner-Verlag, 2.Auflage, 2018, 152 Seiten, 17 €