Daimler-Untertürkheim: Zukunftspakt oder Teufelspakt?


Daimler hat für den Dieselskandal zahlen müssen. Jetzt stehen die Kolleg/innen unter Druck. Foto: Markus Spiske, pexels

Aktualisiert mit Kommentar!

Stolz hat der Betriebsrat von Daimler-Untertürkheim am Freitag, dem 5.3.21, sein Verhandlungsergebnis zur Zukunft in einer Extraausgabe seiner Betriebszeitung „Scheibenwischer“ präsentiert. Den Scheibenwischer machen wir als PDF zugänglich, sodass jeder selbst die Sichtweise des BR nachlesen kann. Doch das Dokument atmet den Geist des Co-Managements und der Standortlogik. Hier der Scheibenwischer: 2021-03-05_Scheibenwischer-extra

Schon auf S.1 sagt der BR: „Das Resultat ist ein klares Bekenntnis zu unserem Standort…“ Was wird aus den Kolleg/innen an anderen Standorten oder bei den Zulieferern? Zudem wurde das Ergebnis „durch die Anpassung bestehender Vereinbarungen“ erzielt, ohne dass gesagt wird, was für „Anpassungen“ das sind.

Auf S.1 wird zudem stolz aufgelistet, was nun an den Standorten Untertürkheim, Mettingen und Hedelfingen produziert werden soll. Das sieht fast so aus, als ob der BR es als seinen Erfolg ansieht, dass Daimler etwas herstellen und verkaufen will. Doch das ist sowieso im ureigensten Interesse von Daimler und seinen Aktionären selbst. Denn ohne Produktion, ohne Verkauf gibt es keinen Profit.

Ein Erfolg ist sicher, dass der BR es geschafft hat, dass das Forschungszentrum für Antriebe, der „Mercedes-Benz Drive Systems Campus“ in Untertürkheim gebaut wird. Es ist allerdings die Frage, ob das den Kolleg/innen hilft, die bisher in der Produktion beschäftigt waren. Es sollen 120 Arbeitsplätze dazu kommen. Aber mit welcher Qualifikation? Werden es vor allem Ingenieure, Wissenschaftler, Entwickler sein? Oder Produktionsarbeiter?

Die Verdoppelung der Produktionskapazität für elektrische Antriebsstränge (eATS) macht Daimler aber bestimmt nicht wegen der Beschäftigten, sondern weil es aufgrund gestiegener Nachfrage höhere Produktionskapazitäten dringend benötigt.

Der Teufel steckt bei diesem „Zukunftspakt“ im Detail. So verkündet der BR auf S.2, dass die Kurbelwellenmodule 5 und 6 nicht in Untertürkheim gebaut werden. Weiter: „Zur Kompensation der Kurbelwellenlinien 5und 6 wird ein Schichtvolumen Kurbelgehäuse von Jawor ab 2021 nach Untertürkheim verschoben…“ Jawor ist ein Daimler-Werk in Polen, das erst 2019 für die Motorenproduktion aufgebaut wurde. Im August 2020 gab es bereits Meldungen, dass es wieder geschlossen werden soll (https://blog.mercedes-benz-passion.com/2020/08/medienbericht-sechs-standorte-vor-moeglichen-aus/). Daimler spielt also ganz bewusst mit der Standortkonkurrenz die Kolleg/innen gegeneinander aus. Was der eine Standort bekommt, wird dem anderen weggenommen. Und natürlich nimmt Daimler immer den billigsten Standort. Da stellt sich natürlich die Frage, wieso Untertürkheim billiger ist, sodass man eine Schicht von Jawor abzieht. Und was wird aus den Kolleg/innen in Jawor?

Sollen sich die Kolleg/innen gegenseitig ihre Arbeitsplätze wegnehmen und eine Billigkonkurrenz nach unten betreiben?

In diesem Sinn geht es weiter: Wichtige Gussteile für das eATS-Gehäuse werden nicht an Zulieferer vergeben, sondern gehen nun an Untertürkheim (S.3, Scheibenwischer). „Bearbeitungsumfänge, die an einem anderen Standort lokalisiert sind, (werden) reintegriert. Dazu werden Radsätze aus Kassel für das VAG 164 zurückgeholt.“

Standortlogik führt dazu, dass man Kolleg/innen an anderen Standorten oder bei Zulieferern als Konkurrenten behandelt. Das kann Daimler hervorragend ausnutzen, um den Druck und die Ausbeutung zu erhöhen. Du musst eben billiger sein, dann verlagert man gern einen Auftrag zu Dir.

Was vereinbart ist, damit die Produktion in Untertürkheim billiger als an den anderen Standorten oder bei Zulieferern ist, darüber schweigt der BR. Und wer garantiert, dass nun nicht Jawor, Kassel oder Zulieferer ein billigeres Angebot aushandeln?

Weiter gibt es viele Versprechungen. Auf S.3 wird vollmundig verkündet: „Wir verlieren also weder Produktionsfläche noch Produktionsaufträge.“ Doch im vorhergehenden Satz steht, dass das erst 2024 oder danach verhandelt wird. An mehreren Stellen steht, dass es dazu noch „Beratungen“ gibt oder die Maßnahme „zunächst“ erfolgt.

Auf S.4 kommt – hinter wohlklingenden Worten verborgen – die dicke Abrechnung. Das Entlassungsprogramm MOVE geht weiter. Weder BR noch Daimler sagen Zahlen. Das klingt verdächtig! Selbstverständlich soll alles „freiwillig“ sein. Doch was macht eine Kollegin oder ein Kollege, wenn der Vorgesetzte nahelegt, zu kündigen? „Freiwilliger“ Druck kann ganz schön hart sein. Ebenso soll es, wie immer „freiwillig“ temporäre Versetzungen und Wechsel an andere Standorte geben. Alles Maßnahmen für mehr Flexibilisierung, die es Daimler ermöglicht, die Kosten zu senken und den Profit zu steigern – auf dem Rücken der Kolleg/innen.

Der dickste Brocken ist jedoch die Zusage des BR, dass Daimler die Leiharbeit von bisher 8% auf 15% fast verdoppeln kann. Ein Unternehmen, dass massiv Arbeitsplätze abbaut, will gleichzeitig den Anteil der Leiharbeit drastisch erhöhen? Wie passt das zusammen? Wenn Daimler mehr Arbeitskraft braucht, dann sollte es auf Entlassungen verzichten! Doch diese Vereinbarung erlaubt Entlassungen und die bei Produktionsspitzen auftretenden Lücken sollen mit Leiharbeit gefüllt werden. Das erhöht die Ausbeutung und den Profit.

Zudem hat Daimler damit eine Steilvorlage für die Verhandlungen in anderen Werken. Man wird es den Kolleg/innen dort unter die Nase reiben, dass man in Untertürkheim Entlassungen vornehmen und gleichzeitig den Anteil der Leiharbeiter erhöhen kann. Die Billigkonkurrenz wird angeheizt!

Daimler hat angekündigt, weltweit rund 30.000 Stellen, davon rund 20.000 in Deutschland abzubauen. Gleichzeitig hat Daimler 2020 seinen Betriebsgewinn um 50% steigern können – siehe https://www.arbeit-zukunft.de/2021/02/23/daimler-66-milliarden-euro-gewinn-sofortige-ruecknahme-aller-lohnkuerzungen/.

Daimler nutzt die Angst aus, um noch mehr aus den Kolleginnen und Kollegen herauszuholen. Doch die Autokonjunktur steigt wieder an. Damit sind die Beschäftigten in einer besseren Kampfposition. Das muss genutzt werden. Zugleich muss die Solidarität der Arbeiter untereinander gestärkt werden. Wenn wir uns gegeneinander ausspielen lassen, dann hat das Kapital leichtes Spiel. Deshalb:

Schluss mit dem Standortdenken, der gegenseitigen Konkurrenz und dem Co-Management!

Kämpfen wir gemeinsam für unsere Arbeitsplätze!

 

Kommentar

Eigene Perspektive entwickeln!

Bei Daimler-Untertürkheim läuft gerade Nothilfe in höchster Not für die Kolleginnen und Kollegen. Was die sich wirklich für die neuen Vereinbarungen kaufen können, ist völlig ungewiss. Formelkompromisse und „Standortlösungen“ sind keine sichere Bahn zu Arbeit und Zukunft.

Wir glauben es Kollege Häberle und seinem Team, dass sie das beste für die Kolleg/innen wollen, aber allein die Tatsache, dass sie nur für den „Standort“ verhandeln konnten, zeigt: Standortlogik schafft für die Betroffenen nur kurze Lösungen – wenn überhaupt. Vielmehr bedeutet sie tiefe Abhängigkeit vom Kapital. Verhandeln wir nur für den Standort, ist die Arbeiterklasse automatisch gespalten und schwächer als sie es eigentlich sein müsste – und könnte!

Die Daimler-Betriebsräte und ihr Gesamtbetriebsrat – schon sie ziehen nicht an einem Strang! Mit dem „Erledigt-Häkchen“ versehene „Jubelmeldungen“ aus dem „Scheibenwischer“ wie „Bearbeitungsumfänge, die an einem anderem Standort lokalisiert sind, reintegriert. Dazu werden Radsätze aus Kassel für das VAG 164 zurückgeholt.“ – sie sprechen Bände!

Und die Kasseler? Und die Kolleginnen und Kollegen anderer Werke (Jawor?)?? Das alarmiert und beweist nur die Spaltung! Allein aber machen sie Dich ein. Auch für Untertürkheim gibt es nur ein vorübergehendes Aufatmen! Alle wissen: Kaum ist die eine Sau zum Werkstor rausgetrieben, treiben die Porth, Deiß und Källenius schon die nächste durchs andere Tor hinein!!

Ähnliches gilt für viele andere Konzerne! Und das gilt auch für die „größte Einzelgewerkschaft“ IG Metall.

Nur eine selbstständig kämpfende, organisierte Arbeiterklasse, die eine eigene, solidarische, Betriebs- und Standort-übergreifende Perspektive entwickelt, kann für alle kämpfen, nicht nur für „meinen“ Standort. Kollegen anderswo„die Arbeit wegnehmen“ – das kann nicht die Antwort auf die massiv steigende Produktivität sein!

Gewiss nicht die ganze Antwort, aber der Kern einer eigenständigen Antwort ist: Wo hunderttausende Jobs der unstillbaren Gier des Kapitals zum Opfer fallen, muss die Arbeitszeitverkürzung für alle und überall auf die Tagesordnung: 30-Stundenwoche bei vollem Entgelt- und Personalausgleich!

Auch wenn es nervt!!

Natürlich gehören auch die Qualifizierung auf Kosten der Profite und vieles mehr auf den Tisch.

Vor allem aber gehört die Beseitigung des Kapitalismus auf die Tagesordnung, die antikapitalistische, sozialistische Revolution, die endlich den Weg freimacht für eine gesellschaftlich geplante Produktion und Reproduktion, die den sich überschlagenden Erkenntnissen der heutigen Zeit Rechnung trägt: Runter mit der Arbeitszeit und Schluss mit der Arbeitslosigkeit, Schluss mit Umweltverschmutzung und Erdzerstörung, der Ausbeutung, der Unterdrückung und den immer wüsteren Kriegen, Schluss mit der Untergrabung des Gesundheits- und des Bildungswesens – weltweit! Das kann nur mit, nein nur durch die arbeitenden Menschen geschehen. Auf sie kommt es an. Fangen wir damit an der Basis der Betriebe an!